Das ungeplante Abendessen

Diese Kurzgeschichte war für eine Ausschreibung zum Thema "Mist" vorgesehen.

Also wundern Sie sich nicht, wenn öfters mal das Wort "Mist" auftaucht.

Ich weiß, dass man Wortwiederholungen vermeiden sollte. Hier ist es jedoch Absicht.

Trotzdem hoffe ich, dass Sie sich bei dem ganzen Mist amüsieren.

 

 

Das ungeplante Abendessen

 

Nach einem stressigen Arbeitstag, einem Stau auf dem Nach-Hause-Weg und einer Mega-Schlange an der Supermarktkasse begrüßte mich zu Hause nervöse Blinken unseres Anrufbeantworters.

Mein Freund Jan klang aufgeregt: „Stell Dir vor, ich bin befördert worden. Und mehr Geld gibt es auch. Ich habe spontan meinen neuen Abteilungsleiter, seine Frau und unseren Firmenchef samt Gattin zum Abendessen eingeladen. Ich muss meinen neuen Chef beeindrucken. Also lass Dir was Tolles einfallen und zaubere uns ein schönes Menü mein Schatz, ich weiß, Du kriegst das hin. Wir kommen dann so gegen acht. So, ich muß jetzt Schluß machen, mein Handy-Akku ist gleich leer. Bis dann, Schätzchen.“

Fassungslos starrte ich auf den Anrufbeantworter. Wie war das? Ein beeindruckendes Menü für 6 Leute bis acht Uhr? Ich kam zwar grade erst aus dem Supermarkt, aber damit rechnete man ja nicht. Tiefkühlpizza sollte es heute geben. Mist! Da musste ich wohl noch mal los. Also rein ins Auto und ab zum Supermarkt. Jetzt nur nichts vergessen. Nach drei Runden durch die Regale hatte ich alle Zutaten zusammengesucht. Aber was sah ich, als ich um die letzte Regalecke bog? Das war keine Schlange vor der Kasse, das war eine Einwohnerversammlung! Anscheinend hatten sich alle Rentner der Stadt, sämtliche Hausfrauen und auch alle anderen, die sonst nichts vorhatten, verabredet, um vor mir an der Kasse zu stehen. Die Schlange war mindestens doppelt so lang wie die Mega-Schlange von vorhin. Tapfer stellte ich mich an. Nach einer Viertelstunde, in der ich mich keinen Zentimeter weiter nach vorn bewegt hatte, spähte ich an der Schlange vorbei und entdeckte den Ursprung allen Übels. Da saß eine Neue an der Kasse. Super gestylt. Und sie hat schicke Fingernägel. Nur mit der Technik steht sie noch auf Kriegsfuß. Macht ja nichts, ich habe ja Zeit - noch genau zwei Stunden! Langsam machte sich Panik breit.

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ins Freie trat, hatte es auch noch angefangen zu regnen. Was sage ich, es goss wie aus Eimern. Und der Schirm lag natürlich im Auto. Im Laufschritt überquerte ich den Parkplatz. Bis ich am Auto ankam, war ich total durchgeweicht. Die Einkaufstüten auch. Beim Einladen riss eine Bio-Papiertüte, das Gemüse verschwand unter dem Beifahrersitz und eine größere Packung krachte auf den Asphalt. Die Eier! Mist! Und keine Zeit mehr, um mich noch mal anzustellen. Das Dessert ist gestrichen, muss dann wohl auch ohne gehen. Also ab nach Hause.

Als ich mit meinen wieder eingesammelten Einkäufen im Arm die Eingangstür öffnete, sauste unser Kater mit einem Vogel im Maul an mir vorbei ins Wohnzimmer … und ließ ihn dort frei. Der Vogel, eine Amsel, saß erst ruhig da und sah sich um. Dann startete er zum Rundflug in unserem Wohnzimmer. Der Kater jagte ihm nach. Ich stellte die Tüten ab und rannte mit meiner Jacke in der Hand hinterher. Die Jacke wollte ich über die Amsel werfen, um sie so zu fangen. Mir fiel nichts Besseres ein. Irgendetwas musste ich schließlich unternehmen. Ich konnte ja nicht den Gästen ein beeindruckendes Menü servieren, während unser Kater eine Amsel quer durchs Wohnzimmer jagte! Mit der ausgebreiteten Jacke in der Hand stand ich also im Wohnzimmer und lauerte auf meine Chance. Da flog die Amsel auf das TV-Rack. Unser dicker Kater sprang hinterher. In Zeitlupe fiel das Glasregal scheppernd in sich zusammen - mit samt dem neuen Super-Flat-Screen-TV. Der kippte in Zeitlupe nach vorn und krachte auf die Dielen. Der ist hin. Mist! Während ich noch fassungslos auf den High-Tech-Schrotthaufen starrte, rannte der Kater hinter der Amsel her in Richtung Küche. Ich, nichts Gutes ahnend, mit der Jacke hinterher. Ich war noch gar nicht ganz in der Küche angekommen, da hörte ich es schon poltern und klirren. Der Kater jagte die Amsel durch sämtliche Küchenregale, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Teller und Tassen mit den Bauernmalereien, die so schön zu unserer Landhausküche passten und die Sammlung kleiner Gewürzgläser flogen nacheinander von den Regalen und zerschellten auf den Fliesen. Das totale Chaos. Ich holte also erst mal Handfeger und Kehrblech und fing an die Scherben und Gewürze aufzufegen, damit man wieder zutreten konnte.

Da fiel mir diese verdächtige Ruhe auf. Ich sah mich um, suchte den Kater, da traf mich fast der Schlag. Dieser Ganove hatte die Einkäufe entdeckt. Zielsicher wie eine Cruise Missile hatte er die Fleischpackung aufgerissen und fraß grade genüsslich an einer der Entenbrüste, die für das Menü vorgesehen war.

Tränen schossen mir in die Augen. Das war nicht mein Tag. So ein Mist! Jan konnte sich seine Beförderung abschminken! Wenn seine Chefs dieses Chaos sahen, dann war es das mit der Karriere. Aus und vorbei. Und ich war schuld.

Kraftlos sank ich auf einen der Küchenstühle. Wie ich da so saß und in Selbstmitleid zerfloss, hörte ich, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Das musste Jan sein. Viel zu früh. Ich hievte mich von dem Stuhl hoch, ging in den Flur wie zu meiner eigenen Hinrichtung und sah dem Donnerwetter entgegen, das zweifellos gleich über mich hereinbrechen würde. Die Tür ging auf und mein Schatz kam rein. Allein. Ohne Chefetage.

„Was ist los, Jan?“ frage ich erleichtert, „Wieso kommst Du allein? Wo sind Deine Gäste?“

„Denen ist was dazwischengekommen. Sie lassen sich entschuldigen und hoffen, dass Du Dir nicht so viele Umstände gemacht hast. Sie wollen nächstes Wochenende zu uns kommen, am Samstag.“

Bevor ich noch irgendwas sagen konnte, flog die Amsel meinem Schatz um die Ohren, drehte eine Runde im Flur und flog dann erneut in Richtung Wohnzimmer. Gefolgt von unserem Kater.

„Nicht schon wieder!“ sagte ich. Jan sah mich verdattert an. Ich sprintete wieder mit der Jacke in der Hand dem Kater hinterher ins Wohnzimmer. Jan folgte mir. Aber in der Tür blieb er wie angewurzelt stehen. Das CD-Rack konnten wir beide noch fallen sehen. Während des Falls rutschten die CDs aus den Schlitzen und lagen nun verstreut im Wohnzimmer herum. Sie garnierten den TV-Glasreck-Schrotthaufen daneben auf makabre Weise. Mein Schatz starrte auf die Reste seines neuen Super-Flat-Screen-TVs. „Was ist denn hier passiert?“ fragte er tonlos. Also erzählte ich ihm die ganze Geschichte.

Das Donnerwetter blieb aus. Bei allem, was er anstellt ist unser Kater so süß, dass man ihm einfach nicht böse sein kann. Ganz egal, was er auf dem Kerbholz hat. Jan nahm mich in den Arm und sah jetzt, dass ich geweint hatte. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn. Mit dem Finger wischte er mir ein bisschen verlaufene Schminke weg. Mitleidig sagte er: „Pass mal auf, so macht man das.“ Er öffnete die Terrassentür. Die Amsel flog raus. Unser Kater rannte hinterher.

‚Mist‘ dachte ich ‚wieso bin ich nicht darauf gekommen?‘ Wortlos ging ich in die Küche und machte die Tiefkühlpizza warm.